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Villa Favorita in Biel

Auszeichnung statt Baggerzahn

Hohe Ehre: Die Konferenz der Schweizerischen Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger zeichnete 2010 die Erhaltung und Restaurierung der Villa Favorita mit einem Preis aus.

  • Die Villa Favorita steht hoch über der Bieler Juravorstadt (Foto: Ivo Thalmann, 2008).
  • Die Villa Favorita vor der Restaurierung (Foto: Ivo Thalmann, 2007).
  • Korridor mit Deckenmalerei. Im Hintergrund die Tür zur Veranda (Foto: Ivo Thalmann, 2008).
  • Alt ergänzt durch Neu: die Küche im Obergeschoss (Foto: Ivo Thalmann, 2008).

Technische Angaben zu Restaurierung

Biel-Bienne. Juravorstadt 39, Villa Favorita.
Restaurierung und Umbau zum Zweifamilienhaus: 2007/2008
Bauherrschaft: Ivo Thalmann und Barbara Müller Thalmann, Biel
Architekt: Ivo Thalmann, Biel
Restaurator: Hans-Jörg Gerber, Nidau
Bauberatung Denkmalpflege: Jürg Schweizer, ehemaliger kantonaler Denkmalpfleger
Unterschutzstellung: Kanton 2008
Beiträge: Kanton (Lotteriefonds/Polizei-und Militärdirektion)
Literatur: Bourquin, Werner und Marcus. Biel. Stadtgeschichtliches Lexikon. Biel 1999. Bauinventar der Stadt Biel, hrsg. von der Einwohnergemeinde Biel und der Denkmalpflege des Kantons Bern, 2003

                          

Auszeichnung statt Baggerzahn

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Man glaubt es kaum: Diese elegante Villa, die da hoch über der Juravorstadt den Blick auf sich zieht, sollte einst abgebrochen werden! Die Stadt Biel hatte sie 1997 sogar exakt zu diesem Zweck erworben. Sie stand nämlich just an der Stelle, an welcher der städtische
Gesamtrichtplan die Einfahrt zu einem Altstadttunnel vorsah. Der Kauf durch die Stadt bedeutete aus damaliger Sicht das Ende des ausgewogenen Baus.

Widerstand gegen den Abbruch

Doch dann passierte ein paar Jahre lang gar nichts. Der Bau des Altstadttunnels rückte aus diversen Gründen in immer weitere Ferne. Gleichwohl wurde den Studenten und Gastarbeiterfamilien, welche die Villa bewohnten, auf Ende 2002 gekündigt. Begründung: Das Haus wird demnächst abgebrochen. Kurz vor Weihnachten intervenierte Denkmalpfleger Jürg Schweizer bei der Stadt: Die Villa sei von hoher architektonischer Qualität und somit klar schützenswert, argumentierte er und empfahl, die Abbruchgelder sowie Mittel der Denkmalpflege für die weitere Bewohnbarkeit zu verwenden; damit sollte ein Leerstehen des Hauses vermieden werden. Aus diesem Vorschlag wurde freilich nichts. Immerhin gelang es dem Architekten Bernhard Wick, Wasser- und Heizsystem rechtzeitig vor dem Frost zu entleeren, Türen und Fenster zu verschliessen oder zu vermauern, und mit regelmässigen Kontrollen das Haus unbeschadet und unbesetzt über die nächsten Jahre zu bringen. Ohne diese präventive Denkmalpflege wären Haus und Ausstattung verkommen.

Anfang 2003 erhielt die Denkmalpflege Verbündete: Der Berner Heimatschutz beschloss, eine Einsprache gegen den Abbruch einzureichen und ein Postulat «Nein zur Zerstörung der Villa Favorita» forderte den Gemeinderat auf, sich für die Erhaltung des Hauses einzusetzen. Die Denkmalpflege ihrerseits reichte Ende Januar eine Einsprache ein. Am 6. März sistierte der Regierungsstatthalter des Amtsbezirks Biel den Abbruch
bis auf weiteres.

Regelmässige Rückfragen der Denkmalpflege bei den städtischen Behörden fruchteten: 2005 zog die Stadt das Abbruchgesuch zurück und entschloss sich zu einem Verkauf. 2007 konnten der Architekt Ivo Thalmann und seine Frau Barbara Müller Thalmann das Haus erwerben. Thalmann hatte sich von Anfang an entschieden für die Erhaltung der Villa eingesetzt. Er wollte sie sanft restaurieren und später mit seiner Familie im Obergeschoss wohnen. Im Parterre sollte eine Mietwohnung entstehen.

Vom Pfarrer zum Bierbrauer

Thalmanns berufliche Annäherung an das Haus glich einem Abenteuer: Es existierten keinerlei Pläne, weder Grundrisse noch Aufrisse. Der neue Eigentümer verbrachte viele Wochenenden damit, Zimmerunterteilungen und andere Zutaten vorsichtig und eigenhändig abzubrechen, dies in erster Linie, um das Haus und seine Struktur kennenzulernen. Es war gleichzeitig eine Annäherung an die Geschichte der Villa.

Entstanden ist das Haus 1861. Bauherr war August Thellung, geboren 1811 in Winterthur. Er hatte in Bern und Bonn Theologie studiert und danach in mehreren Gemeinden gewirkt, bevor er 1855 nach Biel kam. 31 Jahre lang amtete er hier als Pfarrer.

Thellung kaufte 1860 unmittelbar ausserhalb der Altstadt ein Stück Rebland und liess darauf eine zweigeschossige Villa erbauen. Der Name des Architekten ist nicht bekannt. Man fragt sich, warum der wahrscheinlich kinderlose Pfarrer so grosszügig baute: Im Erdgeschoss befinden sich – neben Küche und Veranda – vier grosse bis sehr grosse Räume und Salons, im 1. Obergeschoss liegen ebenso geräumige Zimmer plus die Veranda. Im Dachgeschoss gibt es zusätzliche Kammern und ein weiteres grosses Zimmer. Beherbergten der Pfarrer und seine Frau – Thellung war mit einer Strassburgerin verheiratet – häufig Gäste? Luden sie gern Freunde und Bekannte zu grossen geselligen und kulturellen Veranstaltungen ein? Es ist leider nicht mehr auszumachen.

Sicher aber ist: Pfarrer Thellungs Villa hatte eine höchst bemerkenswerte Innenausstattung: Parkett, Täfer und Stuckaturen zierten die Salons, im halbrunden Treppenhaus gab es eine ausserordentlich schöne Prägetapete. Diese Interieurs gehörten zur ursprünglichen Ausstattung. Wann genau die zarten, grossflächigen Malereien in Salons, Korridoren und im Erdgeschoss der Veranda entstanden, ist dagegen nicht eindeutig zu sagen. Gemäss dem Restauratorenbericht von 2007 entstanden sie erst zu einem späteren Zeitpunkt. Die Dekorationen sind allesamt von guter Qualität und ausserordentlich reizvoll. Besonders attraktiv ist die verspielte Darstellung im Treppenhaus. Sie zeigt stark stilisierte Säulen, zierliche Gehänge und goldene Vasen, ausgeführt in fein aufeinander abgestimmten Pastelltönen.

1897 starb August Thellung. Zwei Jahre später verkauften seine Erben das Haus an den Bierbrauer Georg Franz Walter. Der neue Besitzer passte das Haus an die gestiegenen Komfortansprüche an, in- dem er es ans Stromnetz und an die Kanalisation anschloss und eine wassertransportierte Zentralheizung mit Gussradiatoren anstelle der zentralen Warmluftheizung einbaute.

«Spuren suchen statt Zeichen setzen»

Als Ivo Thalmann das Haus übernahm, war ein Teil der Ausstattung unter Do-it-yourself-Anstrichen, Sprayereien, Pavatexplatten und Bodenbelägen verborgen. Immerhin: Trotz Raumunterteilungen war die ursprüngliche Struktur noch da. «Man hat zum Glück meist dazugefügt, aber kaum weggenommen», sagt der Bauherr heute.

Die gesamte Restaurierung lief in sehr enger und guter Zusammenarbeit zwischen dem Bauherrn und Architekten und der kantonalen Denkmalpflege. Beide Parteien wollten so viel wie möglich von der Altsubstanz der Villa erhalten und restaurieren; die notwendigen Anpassungen sollten sich dem Bestehenden klar unterordnen. «Spuren suchen statt Zeichen setzen», nennt Thalmann dieses Prinzip.

Die Bauarbeiten begannen Anfang 2008. Eine grundlegend wichtige Massnahme war die Sanierung des Dachs. Der zerbrochene Schiefer wurde entfernt, eine Isolation eingebaut und das Dach danach vollständig neu eingedeckt – wiederum mit Schiefer.

Das Äussere des Hauses brauchte eine umfassende Restaurierung; namentlich die Sandsteinteile, Holzarbeiten und Oberflächen waren arg abgewittert. Zudem war die Veranda «verbastelt», wie sich der Architekt ausdrückt. Die heutige Fassadenfarbe entspricht nicht ganz dem Originalton: Dieser erschien – im Zusammenspiel mit den Läden – als zu blass.

Im Innern führte ein Restauratorenteam Ende 2007 Oberflächensondierungen durch. Dabei kamen die teilweise verdeckten Malereien wieder zum Vorschein. Obwohl unter anderem das Aufkleben von Isolationsmaterial in der Veranda Fehlstellen hinterlassen hatte, waren sie gesamthaft gut erhalten. Sie wurden in einem aufwändigen Prozess freigelegt und gereinigt, aber nicht ergänzt. Heute strahlen die Räume wieder etwas vom Geist des späten 19. Jahrhunderts aus. Vollständig erneuert werden musste die Haustechnik. Die bedeutendste Massnahme war aber zweifellos der Umbau der einstigen Villa in ein Zweifamilienhaus. Wohnungsabschlüsse waren bereits vorhanden, sie stammen aus Pfarrer Thellungs Zeit. Anderes musste eingebaut werden: Im Erdgeschoss gab es eine grosse Küche, aber kein Bad, im Obergeschoss ein grosses Badezimmer, aber keine Küche. Auch hier wollte man keine «Zeichen setzen»: Die funktionale, klar geformte Einrichtung der neuen Küche etwa verträgt sich gut mit dem Holzboden aus dem 19. Jahrhundert; der Raum wirkt ausgesprochen einladend.

2008 konnte die Restaurierung abgeschlossen werden. Seither wohnen zwei Familien in den grosszügig dimensionierten Wohnungen. Ganz abgeschlossen ist die Erneuerung der Villa aber noch nicht: Irgendeinmal werden die Eigentümer die Restaurierung des Dachgeschosses an die Hand nehmen und auch die Neugestaltung des Gartens steht zurzeit noch aus.

Der Haupteingang auf der Nordseite der Villa (Foto: Ivo Thalmann, 2008).

Ausgezeichnet

Mitte Dezember 2010 sprach die Konferenz der Schweizerischen Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger der Bauherrschaft den Denkmalpreis 2010 zu «für die sorgfältige
Restaurierung und den schonenden Umbau zu einem Zweifamilienhaus, nachdem die spätklassizistische Villa an exponierter Lage während Jahren zum Abbruch vorgesehen war.» Nicht zum ersten Mal ist damit ein einstiges Abbruchhaus im Kanton Bern zum preisgekrönten Vorzeigeobjekt avanciert. Ursula Maurer