Herr Fretz, welches sind Ihre Tätigkeiten, welches die Herausforderungen in Ihrem Berufsalltag als Restaurator?
Meine Arbeit ist sehr vielseitig. Ich werde angefragt, wenn historische Ausstattungen am Äussern oder auch im Innern eines Baudenkmals untersucht und restauriert werden sollen. Zuerst erstelle ich für die Bauaufnahme einen Massnahmenkatalog: Welche Materialien müssen verwendet werden, um dem Bau gerecht zu werden, wie werden sie angewendet. Oft beherrschen die Handwerker ihr Handwerk nicht mehr und haben eine geringe Materialkenntnis. Ich bin dann im Prinzip Vermittler alter Techniken. Es ist wichtig, dass man jeweils anpackt und vorzeigt, wie es geht.
Die Fähigkeit, alte Handwerkstechniken wie bspw. Marmorieren oder Vergolden anwenden zu können, ist leider etwas verloren gegangen. Bei den Schreinern ist das anders, die haben immer schon in ähnlicher Weise gearbeitet, da ist weniger Know-how verloren gegangen. Was früher Teil einer Maurer- oder Malerausbildung war, wird heute nur noch als Weiterbildung angeboten. Dies führt dazu, dass sich die Handwerker vorwiegend von den Lieferanten beraten lassen.
Sie erhalten nur Garantieleistungen, wenn sie genauso vorgehen wie empfohlen. Auch wenn ich ihnen sage, dass man die Materialien selber zusammenmischen könne, getrauen sie sich nicht, weil sie Garantieleistung des Lieferanten wollen. Es gibt aber auch schöne Erlebnisse: Bei den Arbeiten an Tavannes Watch Co habe ich einem jungen Maler gezeigt, wie er die Schrift malen muss und ihm die Farbe gemischt. Er wollte es unbedingt selber machen. Ich habe generell den Eindruck, dass das Interesse an alten Techniken wieder zugenommen hat und junge Handwerker diese wieder vermehrt erlernen und anwenden wollen.
Mit Bauherrschaften Verhandlungen zu führen, ist ebenfalls ein Teil meiner Arbeit, allerdings ein kleiner. Dies gelingt manchmal besser, manchmal weniger gut. Aber ich erreiche in den meisten Fällen, dass die Besitzer Freude am Resultat haben. Dafür muss ich Überzeugungsarbeit leisten. Ich zeige bspw. Farbmuster nicht einfach nur auf Papier, sondern lasse grossflächige Muster am Objekt erstellen. Besonders bei Leuten, die Angst vor zu viel Farbe haben, ist das eine gute Möglichkeit. Sie kommen so oft selber auf den Geschmack und ich erreiche das Ziel, das ich mir ursprünglich gesetzt habe. Es ist wichtig, offen zu sein und den Leuten nicht etwas aufdrängen zu wollen.
Wenn es um den Fensterersatz geht, wird ebenfalls häufig kontrovers darüber diskutiert. Nicht alle Fensterbauer sind bereit, etwas Spezielles zu machen. Aus Umwelt- und Arbeitsschutzgründen haben die meisten auf wässerige Acrylate umgestellt und der Restaurator empfiehlt dann Ölfassungen. Diese sind am nachhaltigsten und entsprechen ästhetisch dem Ursprünglichen am besten. Dies wird häufig schwierig, weil auch die Fensterbauer nicht mehr entsprechend ausgerüstet sind. Es gibt allerdings auch solche, die sich auf denkmalpflegerische Objekte spezialisiert haben.
Am schlimmsten sind jedoch die Elektriker. Da merkt man oft, dass sie keine Handwerkstradition haben. Sie fräsen ihre Kanäle auf dem direktesten Weg und machen damit relativ viel kaputt – der Respekt vor der historischen Substanz fehlt. Die sollte man schulen.
Einige Maurer haben wir wieder auf den Geschmack von sandlosen Verputzen bringen können. Man weiss, dass sie in der Höhe Probleme beim Bauen hatten, weil es dort keinen Sand gab. Sie haben daher aus Kalkstein, Sägemehl und pflanzlichen Fasern Kalkmörtel hergestellt. Ruedi Krebs aus Twann hat vor ein paar Jahren diesbezügliche Untersuchungen gemacht und inzwischen kommt das Verfahren langsam wieder auf. Die Handwerker haben Freude daran. Die Vorteile sind: Sandlose Verputze sind billig, angenehm und einfach in der Verarbeitung, sie sind leichter und belasten das Mauerwerk weniger als Sand, sie haben gute Isolationswerte und sind ästhetisch sehr ansprechend.
Wie sieht ihr Werdegang aus?
Nach Abschluss der Volksschule besuchte ich während eines halben Jahres das Lehrerseminar, wechselte aber dann an das Wirtschaftsgymnasium. Der Wunsch Restaurator zu werden, kam gegen Ende dieser Ausbildung auf. Ein Auslöser dafür könnte auch mein Vater – in seinem Erstberuf Möbelschreiner – gewesen sein. Ich habe erlebt, wie er zuhause häufig an Möbeln gearbeitet hat.
Nach einem einjährigen Pflichtpraktikum, welches ich bei der H. A. Fischer AG in Bern absolviert habe, war ich einer der fünf Kandidaten, die die Aufnahmeprüfung an der Restauratoren-Fachklasse der Schule für Gestaltung in Bern bestanden haben. Während der Ausbildung habe ich weiter bei Michael Fischer gearbeitet und schliesslich über eine Gemäldeserie aus dem Museum für Kunst und Geschichte in Neuenburg diplomiert. Anschliessend arbeitete ich als Gemälde-Restaurator im Museum für Kunst und Geschichte in Neuenburg. Da dies eine Halbtagesstelle war, habe ich mich rasch zusätzlich selbstständig gemacht.
2004 ergaben sich Kontakte zum Museum in Freiburg, dort wurde der Restaurator pensioniert. Ich habe – zusammen Claude Breidenbach – seinen Job übernommen. Die Entscheidung für Freiburg fiel mir auch deshalb leicht, weil das Museum eine wichtige Skulpturensammlung hat. Schon während meiner Ausbildung habe ich öfters an Skulpturen gearbeitet. Im Rahmen eines Nationalfondsprojekts haben wir später während vier Jahren fast 500 Skulpturen aus dem 16. Jahrhundert untersucht und inventarisiert.
Inwiefern hat sich der Beruf im Laufe der Jahre verändert?
Was sich gegenüber früher stark verändert hat, ist die Ausbildung zum Restaurator an der Hochschule der Künste Bern. Seit dem Übergang zum Bologna-System ist der Beruf spezialisierter geworden. Es wird schon während der Ausbildung in verschiedene Richtungen aufgeteilt: Architektur, Möbel, Papier, Skulptur etc. Man springt heute während der Ausbildung von Sparte zu Sparte, was schliesslich Halb-Spezialisten hervorbringt. Die Hochschulen stellen zudem einen hohen Anspruch an Wissenschaftlichkeit. Offen gesagt, habe ich damit ein Problem. Es ist schon richtig, dass man naturwissenschaftliche Untersuchungen wie Materialanalysen machen sollte. Aber im Alltag liegen solch aufwendige Massnahmen nur bei aussergewöhnlichen Objekten drin. Man hat als selbstständiger Restaurator zudem nur schlecht Zugang zu den nötigen Analysegeräten und es bleiben relativ teure Begleitmassnahmen. Wir haben für solche Ausnahmefälle jedoch punktuell die Möglichkeit, einen Naturwissenschaftler beizuziehen.
Die wissenschaftliche Seite zu pflegen, ist in Ordnung, sollte aber nicht der Schwerpunkt sein. Ich weiss nicht, ob diese Ausrichtung auf Dauer eine Zukunft hat. Wir sind in erster Linie Handwerker! Ich stelle bei meiner Arbeit mit Praktikantinnen und Praktikanten in Freiburg fest, dass handwerkliches Geschick je länger desto mehr fehlt. Mit der heutigen Ausbildungsstruktur ist ein jähriges Vorpraktikum nicht mehr möglich, was dazu führt, dass viele den Arbeitsalltag ohne praktische Erfahrung und oft auch mit falschen Vorstellungen angehen. Wir sitzen selten im schönen Atelier, sondern stehen häufig bei einem ruinierten Bauwerk auf dem Gerüst.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege aus?
Der Bauberater meldet sich bei mir und schickt mir meist das Inventarblatt, wenn das Baugesuch eingeht. Ich schaue mir das Objekt erst einmal alleine an und offeriere danach für die Voruntersuchung. Wenn ich den Auftrag erhalte, mache ich eine Bau- und Farbuntersuchung und erstelle bei Bedarf ein Farbkonzept. Je nach Bauberater/in unterbreite ich persönlich der Bauherrschaft meine Vorschläge und begleite die Bauarbeiten im Auftrag der Denkmalpflege. Nach Abschluss aller Arbeiten erstelle ich einen Schlussbericht.
Wie viel ist Wiederherstellung und Restaurierung, wo beginnt die Neuschöpfung?
Ein Restaurator darf nicht schöpferisch tätig sein, auch wenn im Alltag Geschmack, Interpretation und Subjektivität schon eine gewisse Rolle spielen. In Moutier bspw. habe ich in einer Strasse drei Fassaden saniert und restauriert, zwei weitere werden folgen. Beim Betrachten der Strasse ist mir bewusst geworden, dass ich mit meiner Arbeit ein Stadtbild präge. Ich frage mich dann, ob ich dem ursprünglichen Stadtbild gerecht geworden bin. Da wird einem manchmal schon etwas unwohl. Natürlich macht man sorgfältige Farbuntersuchungen und unterbreitet dann ein gründlich überlegtes Farbkonzept. Aber es ist eine Wiedergabe. Farbtöne haben sich mit der Zeit verändert. Hundertprozentige Sicherheit hat man also nur, wenn man naturwissenschaftliche Untersuchungen durchführen kann.
Wenn man jung ist, stellt man sich diese Fragen nicht, da ist jedes Objekt ein Einzelobjekt. Irgendwann sieht man dann die Architektur als Komposition, als Gesamtbild.
Wie passt unser Thema In Szene gesetzt zu Ihrem Beruf als Restaurator?
Früher haben sich die Menschen nicht so vor Farbe gescheut wie heute. Damals waren sie diesbezüglich ziemlich konsequent. Das Gesamtbild war fröhlicher als es das Graubeige der 1950er Jahre ist. Es ist ein schönes Gefühl, diese Farbigkeit wieder hervorzuholen.
Dekoration hat heute nicht mehr denselben Stellenwert wie früher. Das ist auch gut so. Um die Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert war die Architektur sehr farbig, die Folgezeiten waren dann wieder ganz anders. Der Zeitgeschmack ändert sich. Es ist illusorisch, heute einen Raum genauso zu gestalten wie um die Jahrhundertwende, es wäre zu teuer und es entspricht nicht mehr unserer Ästhetik, die nüchterner ist.
Mir sind aber auch Massnahmen begegnet, die ursprünglich nicht gelungen waren, oder es gibt ältere Objekte, bei denen man sich fragt, ob der Maler oder der Architekt farbenblind war. Manchmal stellt man fest, dass das Farbkonzept ursprünglich nicht stimmig war. Das merkt man sofort. Vielleicht hatte die Bauherrschaft darauf beharrt, entgegen der Vorschläge von Handwerkern und Architekten – Geschmack ist eine persönliche Sache. Bei einer Restaurierung versuchen wir das dann zu korrigieren. Das ist ein massiver Eingriff, den Restaurator, Denkmalpflege und Bauherrschaft gemeinsam vornehmen.
Ein spannendes Projekt war bspw. der Cinématographe in Tramelan. Das Kino aus der Jahrhundertwende hat eine bemalte Fassade. Man wusste, dass dies innen auch der Fall gewesen war. Die ursprünglichen Wände wurden aus tontechnischen Gründen verkleidet. Die Besitzer wollten anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums an einer Stelle die bemalte Wand freilegen und zeigen, was unter der Verkleidung liegt. Das Resultat ist sehr gut gelungen, man erhält einen Eindruck, wie es einmal ausgesehen hat. Dekormalereien wurden damals von Malern ausgeführt, heute macht das der Restaurator.
Auch die Papierstofffabrik in Rondchâtel ist heute wieder schön in Szene gesetzt. Es ist sehr befriedigend, wenn man von einem ursprünglichen Abbruchgesuch zu einem solch fabelhaften Resultat kommt. Hier haben alle Beteiligten inklusive Bauherrschaft grossen Einsatz geleistet.
Ebenfalls auf dem Vigier-Areal befindet sich ein zweistöckiges Hühnerhaus, welches voll bemalte Fassaden hat. Dies war eines meiner ersten Objekte als freischaffender Restaurator. Es sieht noch heute gut aus.
Welche Objekte gefallen Ihnen besonders?
Ich finde die Dekors aus der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert sehr spannend, Art Nouveau und Art Déco. Das Zusammenspiel von Architektur und Dekor macht diese Zeit aus. Vermutlich haben zu dieser Zeit die Maler auch schöpferisch eingegriffen. Möglicherweise war manchmal nicht einmal ein Architekt dabei, wenn es um anderes als um den effektiven Bau ging. Die Handwerker hatten wohl grosse Freiheiten. Zwar war das Thema vermutlich vorgegeben, die Ausführung aber frei. Die Maler damals waren unglaubliche Handwerker, sie haben eine gewaltige Leistung vollbracht und oft ein Gesamtkunstwerk, eine wunderschöne Einheit geschaffen. Es hat alles gestimmt: die Materialwahl für alle Bauteile und das passende Dekor dazu. Bezüglich Architektur gefallen mir die Objekte aus den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts besonders, da sie sehr elegant sind.
Alain Fretz
Aufgezeichnet von Doris Sommer