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Interview mit Herrn Sigmund von Wattenwyl

Zur Person
Sigmund von Wattenwyl hat 1985 mit 25 Jahren als Pächter den Gutsbetrieb des Alten (von 1546) und des Neuen Schlosses (von 1668) von seinem Vater Charles von Wattenwyl (1927–2006) übernommen. 1994 wurde er Eigentümer und amtet seither als Schlossherr und Landwirt in Oberdiessbach. Er und seine Frau sind Eltern von drei Söhnen und einer Tochter.

Herr von Wattenwyl, was bedeutet es für Sie und Ihre Frau, Schlossherr und Schlossherrin zu sein?

Schlossherr und Schlossherrin zu sein bedeutet, sich gegenüber der Öffentlichkeit nicht zu verschliessen. Leider ist das heute oft der Fall. Wir können nicht von unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern verlangen, dass sie für unsere speziellen Probleme Verständnis zeigen, wenn wir uns ihnen gegenüber verschliessen. Ich bin nun seit 21 Jahren Eigentümer von Schloss Oberdiessbach. Von allem Anfang an war das Schloss für Interessierte ein offenes Haus - wenn auch nicht bis ins Schlafzimmer. Unsere Bereitschaft war immer, den Leuten zu zeigen, worum es in einem Schloss geht und was bei uns an Kulturgut vorhanden ist.

Das Verbundensein mit Familientradition bedeutet auch Verpflichtungen und Verantwortung zu übernehmen, zum Beispiel nicht in Legislaturen, sondern in Generationen zu denken. Das gilt im Speziellen auch für die denkmalpflegerischen Anliegen. Es ist wie in einer Ehe – entweder man fühlt sich darin wohl oder eben unwohl.

Schlossherr zu sein, bedeutet nicht nur Lasten zu tragen. Entscheidend ist wohl in erster Linie, wie man sich zu dieser Rolle stellt. Mir wurde dieses Rollenverständnis sozusagen mit der Muttermilch eingeflösst. Meine Mutter kommt aus Dänemark. Meine dänischen Verwandten besitzen Schlösser und Güter in grossem Umfang. Gleiches gilt ebenso für die väterliche Seite. Schlossherr zu sein bedeutete für mich persönlich nie Last, sondern eher Herausforderung. Viele Schlossherren erleben es wohl eher als Last.

Einige privaten Käufer schotten sich von ihrer Umgebung ab und sehen ein Schloss eher als Prestigeobjekt oder als Kapitalanlage. Hier zeigt sich eine grundlegende Differenz zu Ihrer Interpretation der Rolle eines Schlossherrn. Oder anders gefragt: Wären Sie nicht in diese Rolle hineingewachsen – wären Sie heute trotzdem noch Schlossherr?

Hier wären in jüngster Zeit in unserer Familie verschiedene Alternativen möglich gewesen: Beispielsweise wäre es möglich gewesen, eine Stiftung ins Leben zu rufen, was ich persönlich eher als Notlösung ansehe. Als Stiftungsrat in einer solchen Stiftung zu wirken – egal ob als Mitglied einer Schlossfamilie oder als Externer – erfüllt wohl die meisten mit Stolz und gibt das Gefühl, selber ein wenig Schlossherr zu sein. Geht es dann um alltägliche Pflichten wie Rasenmähen oder Reinigen von Brunnen, fehlt es aber oft an der Bereitschaft, auch hier Hand anzulegen. Man will Familienfeste feiern, Freunde einladen und sich präsentieren, das Schloss als Repräsentationsobjekt nutzen.

Mein Grossvater wollte ursprünglich eine Familienstiftung gründen – mein Vater hat sich dem Gott sei Dank immer widersetzt mit der Begründung, er wolle nicht als Abwart der Familie dienen.

Für viele Leute, die heutzutage auf Grund ihrer Tätigkeit genügend Geld besitzen um Schlösser kaufen zu können, bedeutet ein solches Objekt wohl Prestigegewinn und Erfolg. Das haben jedoch auch meine Vorfahren bereits gemacht. Durch ihre Tätigkeit in fremden Diensten haben sie Geld verdient, haben damit Herrschaften gekauft und Schlösser gebaut, um den Leuten zu zeigen, was sie im Leben erreicht haben. Diesbezüglich war die Motivation damals wohl dieselbe wie heute.

Vielleicht hat es in der heutigen, schnelllebigen Zeit auch mit dem Bedürfnis nach mehr Wurzeln zu tun. Ich beobachte dies auch während der Schlossrundgänge mit unseren Besuchern: Viele Gäste wollen genauer wissen, was für Menschen auf den Porträts wiedergegeben sind, wer sie waren und was sie gemacht haben. Bevor sie jedoch die Porträts besichtigen, schauen sie sich in der Regel zuerst unsere Familienfotos an – was wohl für die meisten interessanter ist als eine Funk-Kommode. Für mich hat es damit zu tun, dass der Mensch ein Suchender ist, der ein gewisses Mass an Traditionen benötigt.

Um auf Ihre Frage zurück zu kommen: Ich möchte hier auch betonen, dass ich es immer begrüsst habe, wenn es Leute gegeben hat, die Schlösser erwerben und diese auch unterhalten. Dem Staate Bern fehlt heute das Geld dazu. Wenn ich an Herrn Hans Ueli Müller oder Prof. Dr. Matthias Steinmann denke, muss man den Herren danken, dass sie solche Objekte erworben haben und damit auch bereit sind, Verantwortung dafür zu übernehmen und viel Kapital in die Instandstellung der Bausubstanz zu investieren. Als ich seinerzeit aus der Tagespresse entnommen habe, dass Herr Michel Schloss Gümligen kaufte, war ich sehr beeindruckt. Andere Leute haben sich wohl eher daran gestossen, dass er nach seinem wirtschaftlichen Erfolg nun noch ein Schloss erworben hat.

Schon in früheren Zeiten gingen Schlösser und Herrschaften immer wieder an neue Besitzer über. Ob der neue Besitzer ein „von“ vor dem Familiennamen trägt oder nicht, spielt eigentlich keine Rolle. Für mich ist entscheidend, dass das Gebäude auch in Zukunft unterhalten wird. Schade finde ich, wenn ein neuer Schlossbesitzer sich zuerst Gedanken macht, wo das neue Hallenbad bzw. die Tiefgarage gebaut werden soll. Das hat meiner Ansicht nach nicht erste Priorität in einem historischen Gebäude. Als Schlossbesitzer hat man das Sagen so oder so nur auf Zeit.

Ich wüsste nicht, wie sich Schloss Gümligen heute präsentieren würde, wenn es nicht Herr Michel gekauft hätte. Der Zustand des Schlosses vor dem Kauf war bedenklich. Was mich an Ihrer Aussage von vorhin beruhigt, ist die Feststellung, dass das Traditionsbewusstsein bei vielen Leuten noch vorhanden ist. Diese Tatsache beruhigt mich als Denkmalpfleger, denn manchmal bin ich mir nicht sicher, ob diesbezüglich der Wertewandel bereits gekippt ist oder nicht.

Das hängt vielleicht auch mit dem Alter dieser Leute zusammen. Nähern sich die Leute langsam dem Pensionsalter, besinnen sie sich wohl eher zurück als ein 25-Jähriger. Wobei es mir hie und da auch gelingt, anlässlich der Rundgänge junge Leute zu faszinieren; das ist wohl abhängig davon, wie man auf diese Leute zugeht, wie man erzählt; wichtig ist, dass man es in einer vertraulichen Art und Weise tut. Es ist für mich immer wieder faszinierend, die verschiedenen Reaktionen zu beobachten.

Ein Schloss hat viel mit Adel und „rosarotem Renommee“ zu tun.

Unsere Familie ist nicht adelig, wir sind eigentlich Newcomer aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Ich persönlich besitze mütterlicherseits etwas blaues Blut. Die Mitglieder der Familie von Wattenwyl waren ursprünglich Säumer aus dem Dorf Wattenwil bei Thun. Hie und da hatten sie auch das Amt als Stadthalter inne. Das erzähle ich jeweils unseren Besuchern. Unsere Familie gehört zum Berner Patriziat. Im Alten Bern zählten die Wattenwyls zu den sechs sogenannten „wohledelfesten“ Familien. Ich denke, dass die meisten Angehörigen unserer Familie sich dessen nicht mehr bewusst sind. Natürlich erfüllt mich diese Tatsache auch mit etwas Stolz. Das nützt mir aber in der heutigen Gesellschaft wenig. Umso mehr habe ich das Gefühl, selber etwas beweisen respektive bewegen zu müssen.

Ich stelle mich auf den Standpunkt, dass jedes Individuum, falls es gesund ist, selber etwas leisten muss. Mir persönlich nützt es wenig, wenn ich anmerke, dass mein elffacher Urgrossonkel sich in den Diensten von Louis XIV befand, dort Erfolg hatte und am französischen Königshof ein- und ausgegangen ist. Es ist schön, wenn man dies erzählen kann. Heute muss man aber, um bestehen zu können, selber etwas leisten. Ein reiner Trittbrettfahrer ist störend.

Aus diesem Grund habe ich mich für den Weg der Öffnung entschieden, der viele Leute zu Beginn etwas geschockt hat. Ich musste mich 1994 nach der Übernahme des Schlosses von meinen Eltern fragen, was ich mit 10'000 m2 Umschwung, mit 5'000 m2 Biberschwanzziegeln und 500 m Gartenmauer mache. Für mich war klar, diesem Besitz wieder einen Sinn zu geben. Es nützt wenig, hier zu wohnen und nur zu klagen. Auf mich wartet niemand. Ich habe das Riesenglück, mit einer Frau verheiratet zu sein, die an unserem Schlossgemäuer ebenfalls Freude hat. Wir sind ein idealer „Zweispänner“, der sich gut ergänzt. Zusätzlich sind wir in einen soliden Freundes- und Bekanntenkreis eingebettet. Das ist nicht unwesentlich für unsere Aufgaben. Dank dieser Situation haben wir Erfolg und wir sind dankbar dafür.

Traditionsbewusstsein beinhaltet nicht nur die Funkkommoden, Louis XIV, XV und XVI-Möbel von den Ebenisten Aebersold und Hopfengärtner. Mit zunehmendem Alter ändert man auch etwas die Prioritäten. Das ist wohl auch auf die „innere Reife“ zurückzuführen. In den ersten 10-15 Jahren haben wir uns vor allem mit viel Freude für die ursprüngliche Bausubstanz engagiert. Wir sind aber froh, dass wir später zwei USM-Pavillons in den Südgarten stellen durften. Diese sollen den Besuchern aufzeigen, dass wir in unserem Denken aktuell sind, auch wenn die ältere Generation das teilweise als Provokation empfindet. Der klassizistische Anbau des Peristyls zum Beispiel, erbaut durch meine Ur-Ur-Grossmutter, war zu ihrer Zeit auch hochmodern. Ich bin der Denkmalpflege des Kantons Bern, damals unter der Leitung von Prof. Dr. Jürg Schweizer [Denkmalpfleger des Kantons Bern von 1990-2008; Anm. der Red.], dankbar, dass sie unser USM-Projekt begrüsst und das Baugesuch bewilligt hat. Es war für uns von der emotionalen Seite her gesehen wichtig, dass wir in der Schlossanlage einen architektonischen Zeitzeugen aus unserer Zeit einbringen konnten. So werden wir hoffentlich auch für die kommenden Generationen präsent bleiben. Die Firma USM hat damals viel beigetragen, damit das Projekt realisiert werden konnte.

Ich fühle mich als Diessbacher. Hier bin ich zu Hause. Mein Umfeld ist hier. Der Beruf als Bauer hilft mir sehr viel. Der Genitiv und der Dativ sind nicht meine Freunde, ich habe keine akademische Ader, wie das vielfach vielleicht von aussen von einem Angehörigen unserer Familie erwartet wird. Das war in jungen Jahren für mich oft eine Belastung, wenn ich in Bern verkehrte. Man stellte mir damals häufig die Frage nach meiner Ausbildung. Wenn ich dann antwortete, dass ich das Bauernlehrjahr im Welschland und in Utzenstorf und anschliessend die Meisterprüfung auf der landwirtschaftlichen Schule Schwand in Münsingen absolviert habe, wurde ich oft ganz entgeistert angeschaut und es wurde als sehr originell betrachtet angesichts meiner Herkunft und meines Familiennamens. Erwartet wurde zum Beispiel ein Jus- oder Medizin-Studium. Ich habe Kuhschwänze gewaschen und Mist aus dem Stall gekarrt. Mein Leben ist die Landwirtschaft. Agri-Kultur ist die dänische Seite meiner Persönlichkeit, die Verbindung von Landwirtschaft und kulturellen Belangen.

Bedingt dadurch, dass die Einwohner von Oberdiessbach mich öfter in den Überkleidern sehen, ich bereits in jungen Jahren im Vorstand der Käsereigenossenschaft sass und Präsident des Getreidezentrums war, bin ich in unserem Dorf gut integriert. Mein Grossvater war noch der „Herr“. Er ging jeweils am Morgen durch den Stall und fragte den Melker, ob die letzte Kuh bereits gemolken sei. Er beschäftigte neben vielen Mitarbeitern auch einen Pferdeknecht, der früh am Morgen die Pferde sattelte. Um 4 Uhr ritten sie dann gemeinsam aus. Ich trauere diesen Zeiten nicht nach. Mir wäre es fürchterlich zuwider, bereits um 3.30 Uhr aufzustehen um reiten zu gehen. Auch ich reite, jedoch erst um 7 Uhr morgens.

Mein Vater fühlte sich in seiner „Schlossherrenrolle“ nie ganz wohl. Es lag vielleicht daran, dass sein Vater eine sehr dominante und patriarchische Persönlichkeit und dem zur Folge nicht überall beliebt war. Mein Vater war nur sehr kurz Besitzer des Schlosses (1980 – 1994). Er hat oft auf Understatement gemacht. Das ist keine Kritik an ihm, sondern muss im Kontext der damaligen Zeit gesehen werden. Bedingt durch die starke Präsenz seines Vaters war es für ihn nicht einfach.

Ich habe von der „guten alten Zeit“ genügend Abstand, fühle mich in der 11. Generation eher als Durchlauferhitzer. Ich kann nichts dafür, dass ich Schlossbesitzer bin, ich versuche einfach, mein Bestes zu geben.

Wir haben zu Beginn, das heisst 1994, viel aufgelaufenen Unterhalt übernommen. Das war für uns eine grosse Belastung. Positiv war jedoch, dass wir eine intakte historische Bausubstanz vorfanden: Die Baumaterialien Novilon, Scandatex, Novopan, Marmoran und der Zement sind grösstenteils am Schlossgebäude vorbeigegangen. Ausser ein paar Ausrutschern aus den 1970iger-Jahren, an welchen ich auch beteiligt war, weil ich damals als Teenager diese Materialien ebenfalls toll fand.

Durch unser Engagement sind wir im Dorf gut akzeptiert. Die Bevölkerung erkennt, dass wir viel zum Erhalt der Schlossanlage investiert haben. Wir stellen zusätzlich einen Teil des Naherholungsgebiets zur Verfügung. Dies ohne der Gemeinde dafür Rechnung zu stellen. Es existieren in solchen Fällen bekanntlich verschiedene Modelle, bei denen die Gemeinden den Eigentümern pro Jahr einen gewissen Betrag bezahlen, damit die Alleen oder Parkanlagen benützt werden können. Für mich ist in diesem Bereich wichtig, keine Verpflichtungen einzugehen, um unabhängig bleiben zu können. Ich habe zum Beispiel der Gemeinde vorgeschlagen, in der Allee einen Robby-Dog aufzustellen. Der Gemeindewerkmeister sammelt nun wöchentlich den Hundekot ein. Das funktioniert sehr gut so.

Das tönt sehr pragmatisch. Sie sprachen von ihrem Grossvater, der eine klare Haltung besass, der Vater war eher hin- und hergerissen, mit einem gewissen Unwohlsein. Und Sie haben danach den Sprung in den Pragmatismus geschafft. Ist dieser Eindruck richtig?

Ja, das ist so. Meine Vorgänger respektive Vorfahren haben auf ihre Weise ihr Bestes gegeben. Mein Vater und ich haben Schweine gefüttert und Kühe gemolken. Heute halten wir auf unserem Betrieb keine Tiere mehr. Mein Grossvater und mein Vater waren im Gemeinderat. Ich habe bewusst nicht für eine Partei politisiert, war jedoch zwölf Jahre in der Baukommission (für die SVP). Natürlich habe ich eine politische Haltung. Als ich 18 Jahre alt war, fragte mich die Junge SVP an. Mit der Zeit kam ich zur Einsicht, dass andere Parteien auch nicht nur Unrecht haben; heute bin ich parteilos und froh, wenn ich nicht politisieren muss. Ich muss eingestehen, dass ich es für alle besser und vertretbarer finde, dass ich mich mit dem Schloss, den kulturellen Anlässen und der Aufgabe als Integrationsfigur, welche man dadurch automatisch wahrnimmt, beschäftige.

Sie tragen auch so eine grosse Verantwortung...

Ja, in den Bereichen, in denen ich mich engagiere. Ich empfinde es jedoch eher als Herausforderung.

Für mich war wohl der Zenit meiner Karriere die Wahl zum OK-Präsidenten für das Bernisch Kantonale Schwingfest 2011. Das Fest fand bei uns auf der Schlossmatte statt.

Bereits 1998 war ich OK-Präsident des Emmentalischen Schwingfestes. 1995 kam der Präsident des Schwingklubs Oberdiessbach zu mir und suchte vier Hektaren Land für das Fest. Ich habe damals das Land sofort zugesichert und erwähnt, dass ich auf der besagten Fläche nach dem Fest pflügen und dann noch Mais sähen könne. So konnten die Kosten für die Landmiete eingespart werden. Drei Tage später fragte mich der Schwing-Präsident an, ob ich mich als OK-Präsident zur Verfügung stellen würde. Ich antwortete, dass ich weder jemals selber geschwungen noch ein Schwingfest besucht habe. Ich wusste damals nur, dass derjenige, welcher zuerst auf dem Rücken liegt, verloren hat und was eine Note 10 bedeutet. Am Wochenende darauf habe ich an der Hand des Schwingklubpräsidenten das Schwarzsee-Schwingfest besucht. Die Stimmung dort hat mich sofort fasziniert. Wenn ich damals in der Stadt Bern erwähnte, dass ich ein Schwingfest mitorganisiere, schaute man mich ganz entgeistert an und stellte fest, dass ich vom Land stamme und es sich wohl um etwas Bäuerliches handle. Heute erlebt der Schwingsport einen unglaublichen Hype. Die Menschen sind auf der Suche nach Traditionen und Beständigkeit.

Als ich vor dem Bernisch Kantonalen 2011 zufällig wieder im Casino in Bern war und mit Leuten über den Schwingsport gesprochen habe, wusste im Gegensatz zu 1998 jede und jeder etwas über diese Sportart zu berichten. Die Wahrnehmung dem Schwingen gegenüber hat sich in der Zwischenzeit völlig verändert. Die Firmen laden heute ihre Kunden oder Mitarbeitenden an ein Schwingfest ein.

Für mich war es eine schöne und berührende Erfahrung, 2011 nochmals als OK-Präsident zu walten. Diese Tätigkeit und zudem eine Festrede vor 8000 Leuten zu halten und den Besuchern sagen zu können, dass es schön ist, sie bei mir auf der Schlossmatte willkommen zu heissen, hat mich sehr befriedigt. Kennt man in diesem Kontext die historische Vergangenheit mit dem Patriziat vor 1798, dem Bauernkrieg von 1653 etc. ist das umso befriedigender. Natürlich bleibt man in diesen Kreisen dennoch ein „Vönneler“, ob man will oder nicht.

Hat man Sie angefragt, weil Sie als Bauer für das Fest 40‘000m2 Land zur Verfügung stellten? Man ist nicht zum Schlossbesitzer von Wattenwyl gekommen?

Nein, man ist nicht zum Schlossbesitzer von Wattenwyl gekommen. Es ging um den Landeigentümer, sie benötigten Land für das Fest. Die Vorgeschichte dazu ist mir nicht bekannt.

Aber solche Situationen erleben Sie nach wie vor? Sie werden nach wie vor als adliger Schlossbesitzer angesehen, von dem selbstverständlich gewisse Leistungen erwartet werden?

Ja, wenn z.B. meine Kinder Fussball spielen gehen und sie im Vereins-Bus von Erwachsenen Aussagen hören müssen wie „Die müssen nie selber arbeiten, da ist genügend Geld vorhanden.“ Das ist zwei- bis dreimal passiert und nicht weiter tragisch. Für die Leute, die uns kennen, ist das kein Thema. Solche Aussagen haben ihren Ursprung eher im weiteren Umfeld.

Natürlich habe ich auch provoziert. Vor allem in jungen Jahren, als ich die kostenintensive Hofstatt in einer Nacht- und Nebelaktion ausgerissen habe. Das war jugendlicher Übermut. Ich habe auch die Denkmalpflege provoziert. Ich sagte Heinz Zwahlen [ehemaliger Mitarbeiter der Denkmalpflege des Kantons Bern; Anm. der Red.] vor der Gartenmauersanierung, dass ich mit dem Frontlader die Mauer, welche das Gartenparterre vom Gemüsegarten abtrennt, über den Haufen fahren und sie auf der Deponie in Jaberg entsorgen werde. Natürlich war mir schon damals klar, dass dies so nicht umsetzbar wäre.

Wir hatten jedoch zu dieser Zeit einen sehr grossen Unterhaltsbedarf und haben zum Teil vor lauter Wald die Bäume nicht mehr gesehen. Das wird mir heute auch immer mehr bewusst, wenn ich die Fotos aus dieser Zeit anschaue.

Es war auch die Epoche, in der ich den Gutsbetrieb den neuen agrarpolitischen Anforderungen anpassen musste. Mein Vater hat es zu seiner Zeit richtig gemacht, nichts desto trotz musste ich das Steuer aufgrund der grossen agrarpolitischen Umwälzungen total herumreissen. Gerade in diesem Bereich konnte ich damals nicht nur populäre Entscheide fällen. Mein Vater hatte das Konzept, die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche zu verpachten. Er verpachtete das schönste Land (die Ebene vor dem Schloss), was ich nie begriffen habe und er bewirtschaftete mit seinen Mitarbeitern das hügelige Hinterland. Im Gegenzug verpflichtete er die Pächter dazu, im Wald zu holzen. Damals konnte im Wald noch ein guter Gewinn erwirtschaftet werden. Die Pächter wurden im Stundenlohn entschädigt und konnten zusätzlich das Brennholz für ihren Eigenbedarf mit nach Hause nehmen. Zu dieser Zeit war das betriebswirtschaftlich richtig. Nachdem ich das Gut 1985 als Pächter übernommen hatte, kam kurz danach im Jahr 1990 der Orkan Vifian. Dadurch sanken die Holzpreise in den Keller. Ich war gezwungen, den Pächtern die Kündigung auszusprechen. Das wurde natürlich in der Bevölkerung von Oberdiessbach gar nicht positiv aufgenommen. Damals war ich frisch verheiratet (seit 1988), die Pächter hatten 25 Jahre lang bei uns den Wald mitbewirtschaftet und waren im Dorf gut angesehen. Nach der Kündigung hat eine klassische Steigerung der Vieh- und Fahrhabe stattgefunden. Es entstand der Eindruck, dass, kaum hat der Sohn das Sagen, mit einer jungen Frau aus dem Waadtland, die unglücklicherweise blond ist und vielleicht nicht nur Stiefel und Überkleider trägt und keinen Garten bewirtschaftet, alles auf den Kopf stellt. Für uns ist heute schön, dass die damalige Pächtersfrau zweimal wöchentlich bei uns bügelt. So hat sich unser Verhältnis zum Guten gewendet.

Meine Frau arbeitete jedoch von allem Anfang an tagein, tagaus im Schloss. Letzthin trug sie 1500 antike Bücher auf den Estrich, entfernte den Staub und trug sie wieder herunter. Das sind natürlich Tätigkeiten, die Aussenstehende nicht wahrnehmen können.

Hatten Sie damals nie Zweifel an Ihrem Entscheid? Oder hatten Sie gar keine andere Wahl? Haben Sie erkannt, welches Engagement notwendig sein wird, wenn Sie sich für diesen Schritt entscheiden? Kam ein negativer Entscheid gar nie in Frage? Alternativ beispielsweise in einem schönen Haus in einem Quartier zu wohnen und als Landwirt den Unterhalt zu verdienen?

Das Schloss hat sich damals - wie vorgängig bereits erwähnt - in einem eher schlechten Zustand befunden. Jedoch war für uns von Anfang an die schöne Architektur ersichtlich.

Dies, obschon wir nie Architektur studiert haben. Schlussendlich war die Schlossanlage immer mein Zuhause. Mit den Fragen des Unterhalts und der Architektur habe ich mich schon früh befasst. Als ich 18 Jahre alt war, fuhr ich mit einem Kollegen per „Interrail“ nach Versailles, um mich im kunsthistorischen Bereich weiterzubilden. Hier in Oberdiessbach ist nicht nur das Schlossgebäude von Bedeutung. Das noch vorhandene, historisch gewachsene Mobiliar ist wie „das Fleisch am Knochen“. Bei aller Kritik am mangelnden Unterhalt des Schlosses durch meinen Grossvater: Er hat erkannt, dass das Mobiliar und die Preziosen vor Ort zusammenbleiben müssen. Die beiden Weltkriege haben auch andere Prioritäten vorgegeben. Es haben sich zudem viele glückliche Umstände ergeben, zum Beispiel, dass durch all die Jahrhunderte nicht Verwandte Mobiliar in grossem Masse für sich beansprucht haben.

Als Kind hatte ich das Privileg, an der Hand meines Grossvaters im Archiv die alten Briefe und Dokumente zu besichtigen. Das durfte sonst niemand! Das hat mich geprägt.

Oft habe ich mich gefragt, ob es in der heutigen Zeit wirklich meine Aufgabe ist, diese Dinge alle zu bewahren.

Einen ganz wesentlichen Einfluss auf unser anfängliches Wirken hatte Heinz Zwahlen von der Denkmalpflege des Kantons Bern, er war für mich wie ein Vater. Anlässlich der umfangreichen Renovationen an der Gartenmauer und dem Treppenhaus vor 18 Jahren konnte ich bei ihm meine ersten Erfahrungen sammeln. Mein Vater hatte Gott sei Dank 1985/1986 das Dach für CHF 630'000 renoviert. Heute würde die gleiche Massnahme wohl mehr als CHF 2 Mio. kosten.

Wir (mit der Denkmalpflege) hatten immer gute Gespräche. Zum Teil spät abends bei einem Kaffee. Heinz Zwahlen hat mir immer Unterstützung zugesichert. Ebenso Edi Salzmann [Fachspezialist für Holzbau und Leiter Bauteilelager der Denkmalpflege des Kantons Bern; Anm. der Red.], der tatkräftig mitgeholfen hat, am Spalier „Bohnenstichle“ zu montieren. Das waren sehr gute und lehrreiche Zeiten für uns. Unsere Kinder haben mitgeholfen, Sumpfkalk anzustreichen, aus damaliger Unkenntnis fahrlässig ohne Schutzbrille.

Für uns war es nie eine Frage, das Schloss nicht zu übernehmen. Wesentlich war für mich, was bereits für meinen Vater gegolten hat: Kein Miteigentum, keine Stiftung, sondern das Schloss alleine tragen. Ich sehe es immer wieder, dass, wenn verschiedene Miteigentümer an einer Liegenschaft beteiligt sind, unzählige Versammlungen einberufen werden müssen, da die verschiedenen Mitbesitzer nicht einheitliche Pläne vertreten. Ich besitze in dieser Hinsicht ein grosses Privileg: Am Morgen stehe ich auf und kann wie Louis XIV sagen: „L’Etat, c’est moi“. Sobald wir wieder Geld für eine Renovation erwirtschaftet haben, schreibe ich einen Brief (heute eine Mail) an die Denkmalpflege, um das Bedürfnis anzumelden. Diese kurzen Wege sind ein riesiger Vorteil.

In den vergangenen 20 Jahren haben sich nun bereits 1.5 Laufmeter Ordner mit Dokumentationen über die realisierten Renovationsprojekte angesammelt. Wir hatten eine gute Zeit, auch was die Beiträge aus dem Lotteriefonds und dem Bundesamt für Kultur betrifft. Natürlich war man sich mit der Denkmalpflege des Kantons Bern nicht immer einig: Wenn ich nur an die Diskussionen mit Heinz Zwahlen anlässlich der Renovation der Lukarnenfenster denke. Ich wollte die Eichensprossen aufsetzen und nicht integrieren, um das Fensterputzen zu erleichtern. Zwahlen war dagegen. Darüber haben wir stundenlang verhandelt. Schlussendlich konnte ich mich durchsetzen. Jedoch muss ich im Nachhinein zugeben, dass diese Lösung witterungsbedingt suboptimal ist; in dieser Frage hat Zwahlen Recht behalten. Die Sprossen lassen sich nun mittels zweier Schrauben zum Fensterputzen elegant entfernen, das Wasser läuft aber bei Regen trotzdem in die Gehrungen, so dass sie alle 15 Jahre neu gestrichen werden müssen.

Heute gäbe es andere Lösungsansätze, wie es sich z.B. bei den Fenstern im EG bewährt hat.

Ja, die vor vier Jahren angewandte neue Technik im Erdgeschoss hat sich bestens bewährt.

Um auf die vorangehende Frage zurückzukommen: Auch für meine Frau war klar, dass sie diesen Weg gehen wollte. Zu Beginn stand die landwirtschaftliche Tätigkeit im Vordergrund und daneben war ich „zufällig“ Schlossbesitzer. Damals haben wir noch Tiere gehalten und haben Viehschauen besucht. Heute hat sich diesbezüglich fast alles verändert. Ich arbeite nach wie vor sehr gerne als Landwirt auf unserem Betrieb. Leider steht in der heutigen Agrarpolitik das Aufhängen von Geranienkisten, das Erstellen von Holzzäunen, das Aufschütten von Steinhaufen und vieles mehr im Vordergrund. Das hat nicht mehr viel mit Nahrungsmittelproduktion zu tun. Bis vor kurzem baute ich 22% ökologische Ausgleichsfläche an. Um den ökologischen Leistungsnachweis zu erfüllen, müssen wir Landwirte 7% nachweisen können. Die Bestimmungen werden immer strenger und ändern jährlich, so dass ich mich neu auf 10% beschränke. Ich verstehe meinen Beruf nicht nur als Landschaftsgärtner, sondern auch als Lebensmittelproduzent. Ich bin überzeugt, dass sich die aktuelle Agrarpolitik heute je länger je mehr auf einem Irrweg befindet. Dieser Umstand zeigt sich beispielsweise darin, dass die Schweiz im vergangenen Jahr mehr Käse importierte als exportierte. Dies im sogenannten Milchland Schweiz. Aber ich will hier nicht Agrarpolitik betreiben. Das Faszinierende in meinem Alltag sind die beiden Tätigkeiten Agri und Kultur. Über Wasser gehalten hat uns, dass wir ausgesprochene Praktiker sind. Als ich noch zwei Angestellte beschäftigte, war es mir in grösserem Umfang möglich, bei Renovationsarbeiten zu Gunsten der Schlossanlage Eigenleistungen erbringen. Heute beschränken sich diese Arbeiten beispielsweise auf die Bauleitung und auf kleine Handreichungen mit Hilfe meiner landwirtschaftlichen Maschinen.

Bei der Mithilfe und den Diskussionen anlässlich der Renovationsarbeiten lerne ich auch immer wieder Neues. Zum Beispiel, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, um „Bohnenstichle“ an den Spalierwänden zu montieren. Das erste Spalier, das ich gemacht habe, bestand aus gesägten Latten, das zweite aus Bohnensticheln ohne Spitzen und das dritte schlussendlich aus Bohnensticheln, wie sie sein sollten: mit Spitzen und Metallverankerungen. Mit den Jahren macht man so seine Erfahrungen und entwickelt dadurch die Kenntnisse ständig weiter.

Zur Frage der Finanzierung: Sie erwähnten vorhin, dass nach wie vor eine Art Selbstverständnis existiert, dass ein Schlossherr genügend Geld für den Unterhalt besitzt. Wie finanziert man solche Aufwendungen?

Es gibt verschiedene Säulen. Man muss selber Leistungen finanzieren. Dazu gehören die Eigenleistungen und das Bereitstellen von finanziellen Mitteln. Was die Eigenleistungen betrifft, hatte ich nie Bauführer oder Architekten. Dazu gehören auch die in eigener Regie verfassten Bauabrechnungen zu Handen der Denkmalpflege, welche nicht auf Hochglanzpapier ausgefertigt werden. Zusätzlich sind für uns die Beiträge der Denkmalpflege respektive diejenigen des Lotteriefonds und des Bundesamtes für Kultur sehr wichtig. Dies vor allem dafür, dass die Arbeiten nach den denkmalpflegerischen Richtlinien und damit dem Gebäude gerecht ausgeführt werden können. Zudem hatten wir das Glück, hie und da bei Renovationsprojekten auch Unterstützung von Dritten zu erhalten.

Wie gross ist der Anteil der Finanzierung durch Vermietungen von Schlossräumlichkeiten, Führungen u.a.m.?

Dieser Anteil ist im Moment stark rückläufig bzw. zusammengebrochen. Nicht dass die Besucher das Schloss weniger gerne besuchen, sondern es ist eher darauf zurückzuführen, dass wir Konkurrenz wie z.B. die Schlösser Schlosswil, Schwarzenburg oder Blankenburg erhalten haben. Erwähnen möchte ich an dieser Stelle, dass wir heute auch wählerischer geworden sind in der Auswahl der Anfragen. Zu Beginn war es aufgrund des Unterhaltsbedarfs zwingend nötig, dass möglichst viel Geld durch verschiedenste Angebote erwirtschaftet werden konnte. Meine Frau hat selber gekocht und gebacken. Dies schlussendlich für eine viel zu kleine finanzielle Gegenleistung.

Viele Leute haben die Vorstellung, dass Räumlichkeiten in einem Schloss billiger zu mieten sind als in einer Gastwirtschaft oder einem Kirchgemeindehaus. Doch dies entspricht nicht der Realität. Wenn man zusätzlich einen Partyservice benötigt, ist das immer mit hohen Kosten verbunden.

Mich schmerzt es jedes Mal, wenn ich das Mobiliar bei einer Vermietung aus dem Saal räumen muss und dabei irgendwo in der Hitze des Gefechts Möbelstücke anschlage.

Ideal sind für uns Führungen durch das Schloss mit ungefähr 40 Personen, welche vorzugsweise mit einem Car anreisen. Nach dem Rundgang gibt es jeweils einen Apéro. Hier kann auch das Netzwerk gepflegt werden. Nach etwa drei Stunden reisen die Besucher ab und wir können uns wieder dem Tagesgeschäft, das heisst der Landwirtschaft und dem Gartenunterhalt, widmen.

Bei Vermietungen treffen die ersten Besucher, zum Beispiel für ein Familienfest, oft bereits um 9 Uhr morgens ein und wollen noch Geräte, Blumen etc. installieren. Ein solcher Anlass dauert dann oft bis 18 Uhr oder länger und danach muss noch aufgeräumt werden. Abendanlässe dauern häufig von 16 Uhr bis Mitternacht. Oft mussten wir bis in die frühen Morgenstunden aufräumen, um am nächsten Morgen um 9 Uhr eine neue Gruppe empfangen zu können. Ich will mich nicht beklagen, es war eine interessante Zeit. Aber heute, im Alter von 55 Jahren, möchte ich nicht mehr bis in die Morgenstunden Staub saugen, aufräumen und historisches Mobiliar verschieben.

Die Idee, das Schloss zu öffnen, wurde für uns 1996 beim Besuch von Schlössern in England geboren (open to the public). Nach dieser eindrücklichen Reise sind wir mit vielen Ideen in die Schweiz zurückgereist und haben entschieden, auch damit zu beginnen. Ich erkundigte ich mich beim Amt für wirtschaftliche Entwicklung in Bern nach den raumplanerischen Rahmenbedingungen. Übrigens hat mich Jürg Schweizer immer etwas gewarnt vor einem diesbezüglichen Engagement. Dies wegen der zusätzlichen Abnützung des Interieurs.

Interessant ist, dass in England historische Gebäude eine gewisse Zeit öffentlich zugänglich sein müssen, falls Beiträge an Renovationen durch die öffentliche Hand fliessen.

Das Amt in Bern hat wegen der Landwirtschaftszone Vorbehalte gemacht und ein Konzept verlangt. Ich erkundigte mich deshalb beim damaligen Regierungsstatthalter Hermann Kirchhofer. Dieser stattete uns kurzerhand einen Besuch ab, um sich vor Ort zu informieren. Anschliessend erteilte er mir eine Bewilligung für die Vermietung von privaten Räumen sowie für den Ausschank alkoholischer Getränke im Zusammenhang mit Schlossbesichtigungen. Es wäre laut Bewilligung zusätzlich immer notwendig gewesen, bei jeder Raumvermietung die Ortspolizei zu informieren. Das habe ich nie gemacht. Faktisch bedeutet die vorgängig erwähnte Bewilligung, dass, bevor die Besucher bei uns Alkohol trinken dürfen, sie mir vorher zuhören müssen, sonst mache ich mich streng rechtlich gesehen strafbar.

So sind wir damals gestartet. Zu Beginn hatten wir kaum Besucher. In England herrscht eine ganz andere Tradition, was das Verhältnis der Bevölkerung zu Schlössern angeht. In der Schweiz ist dieses Verhältnis etwas verhalten. Ab der Jahrtausendwende herrschte zehn Jahre lang ein Riesenhype – wir begrüssten pro Jahr etwa 80 Gruppen, was neben den landwirtschaftlichen Aktivitäten auf dem Gutsbetrieb einen grossen, zusätzlichen Aufwand bedeutete. Heute erlaube ich mir, bezüglich Besuchergruppen nur noch die Rosinen zu picken. Das bedeutet, wenn es nicht passt - vor allem wenn es vorhersehbar ist, dass die Räumlichkeiten stark abgenützt werden -, auch Absagen zu machen.

Das Schloss und seine Anlage präsentieren sich heute in einem recht guten Zustand und es sind nur noch wenige, kleinere Baustellen offen. Als Eigentümer hat man die Eigenheit, nur zu sehen, wo noch Handlungsbedarf besteht.

Als Heinz Zwahlen pensioniert wurde, meinte Prof. Dr. Jürg Schweizer, dass er die Betreuung von Schloss Oberdiessbach gerne übernähme, das meiste sei ja inzwischen bereits gemacht worden. Kurz darauf folgten, wie Paukenschläge, die Wiederherstellung des südlichen Gartenparterres, das Peristyl, die nördliche Umfassungsmauer, die Fassade des Alten Schlosses und die Hauptfassade am Neuen Schloss. Also war noch einiges zu tun.

Es ist ein faszinierendes Leben auf Schloss Oberdiessbach. Will man das, ist es zwingend, dass man Freude am Umgang mit den verschiedensten Menschengruppen hat. Die Gegensätze sind spannend: Es kann sein, dass man am Mittag mit Prinz Oskar von Preussen isst und am Abend eine Hauptversammlung einer landwirtschaftlichen Organisation besucht.

Mit solchen Situationen muss man aber auch umgehen können.

Ja, ich habe das Glück, solche Situationen sogar geniessen zu können.

Oft erlebe ich auch lustige Situationen. Mehrmals haben sich Spaziergänger bei mir nach den Eigentümern des Schlosses erkundigt, ohne mich zu erkennen. Einmal arbeitete ich mit meinem Baumeister nach einem Wasserleitungsbruch in einem Graben, wir waren beide sehr schmutzig. Ein Mann erkundigte sich nach meinem Verbleib, weil er mit mir einen Termin hatte. Als der Baumeister ihm sagte, dass ich gerade neben ihm stände, hat er rechts umkehrt gemacht und ist davon gelaufen, weil er das nicht für möglich gehalten hat. Natürlich gibt es auch Schlossbesitzer, welche mit Krawatte und Bediensteten den Tag verbringen. Ich aber möchte das keinesfalls in diesem Sinne tun. Ich bin froh, dass ich noch mich selber sein darf. Mir ist egal, ob jemand unzählige akademische Titel besitzt oder Arbeiter ist; ich erachte es als Privileg, dass ich mit allen Menschen umgehen kann und darf. Das ist für mich persönlich das Salz des Lebens. Manchmal bedingt dies, dass man beim Sprechen etwas das „r“ rollen oder den „Herrn“ mimen muss, je nach Klientel. Teilweise wird das von den Leuten erwartet, auch wenn es oft ins Theatralische abgleitet.

Was mich beeindruckt: Anlässlich des Schlosskonzerts bewirten Ihre Kinder mit Kollegen die Gäste, leeren die Abfallkübel etc. Und nach dem Fest helfen auch die Kollegen selbstverständlich mit beim Aufräumen. Ich habe mir das erste Mal nach einem solchen Anlass die Frage gestellt, wie es für eine(n) junge(n) von Wattenwyl sein muss, die Schule zu besuchen und dort eine Extrastellung inne zu haben oder vielleicht auch nicht. Offenbar funktioniert das gut, andernfalls wären die Kolleginnen und Kollegen nicht bereit, an solchen Anlässen mitzuhelfen. Man kommt zum Schluss, dass sich die Kinder hier in einem familiären Umfeld bewegen dürfen. Wie stellen sich Ihre Kinder dieser Situation, wie sieht die Zukunftsplanung aus?

Nach der Zukunftsplanung werde ich oft gefragt. Wir haben eine Tochter und drei Söhne. Meine Frau und ich sind uns bewusst, dass unsere Kinder voraussichtlich anders mit den Herausforderungen umgehen werden als wir. Eines Tages werden wir die Zügel loslassen müssen. Selbstverständlich spielt es auch eine Rolle, wen sich unsere Kinder als Partner oder Partnerin aussuchen. Das ist die einzige Situation, bei welcher ich den guten, alten Zeiten etwas nachtrauere: Nämlich, dass ich heute meine zukünftigen Schwiegertöchter und meinen Schwiegersohn nicht selber auswählen kann. Das ist jeweils der Moment, in welchem meine Frau interveniert und anmerkt, dass ich sie vor dreihundert Jahren nie hätte heiraten dürfen. Ich entgegne jeweils, dass sie zu diesem Zeitpunkt wohl meine Mätresse gewesen wäre.

Wir wollen, was die Familientradition und den Fortbestand unserer Familie auf Schloss Oberdiessbach betrifft, bewusst nicht missionieren. Unser jüngster Sohn Vincent, 18-jährig, wollte letzthin spontan unbedingt mit mir ins Archiv kommen. Ich habe ihm dort lückenlos sämtliche Kaufverträge, Erbverträge, Eheverträge und den Familienstammbaum von 1421 bis heute gezeigt. Ich habe ihm Packpapier besorgt, auf dem er nun selbständig die direkte Linie unserer Vorfahren aufzeichnen will. Auch der älteste Sohn ist daran interessiert, nur fehlt ihm momentan die Zeit dazu. Wir wollen diese Fragen in Zukunft auf sehr natürliche Weise lösen. Wichtig ist, dass mindestens einer der Söhne eine landwirtschaftliche Ausbildung absolviert. Die praktischen Fähigkeiten werden in Zukunft bezüglich Unterhalt nach wie vor eine grosse Rolle spielen. Ich sehe meine Aufgabe auch darin, unsere Kinder für die Geschichte der vergangenen Generationen zu sensibilisieren.

Es ist von Vorteil, den Landwirtschaftsbetrieb selber zu bewirtschaften, denn ein Pachtzins bringt nicht genügend finanzielle Mittel, um den Schlossunterhalt sicherstellen zu können.

Was unseren traditionellen Open-Air Anlass betrifft, so feiern wir heuer bereits das 15-jährige Jubiläum. Dixieland ist sicher nicht der Musikstil, den unsere Kinder bevorzugen. Aber sie sind mit diesen Anlässen aufgewachsen, der jüngste Sohn, Vincent, war anlässlich des ersten Open-Airs dreijährig. Ich denke, es würde ihnen fehlen, wenn wir diesen mittlerweile etablierten Anlass nicht mehr durchführen würden. Die Kollegen unserer Kinder kommen jedes Jahr wieder und helfen mit. Natürlich erhalten sie alle für ihre Arbeit eine Entschädigung. Das ist aber sicher nicht der einzige Grund für ihre tatkräftige Mithilfe. Unsere Tochter führt die Kaffeestube. Neu, zum 15-jährigen Jubiläum, führen wir eine Blues-Night durch, da unsere Dixieland-Liebhaber langsam wegsterben. Es ist schön, dass unsere Kinder hier mitziehen und das beeindruckt, wie Sie richtig erwähnen, unsere Gäste.

Es kommt vor, dass im Sommer unsere Kinder mit ihrem Freundeskreis bei uns grillieren. Das ist die beste und natürlichste Weise, eine gute Beziehung zur Schlossanlage aufzubauen. Wir haben diesbezüglich unseren Kindern immer viele Freiheiten gelassen. So durften sie im Garten auch Fussball spielen. Dies, obwohl ab und zu eine Rose darunter gelitten hat. Man kann nicht einerseits verlangen, dass sie an unserem Schloss Freude haben sollen und ihnen andererseits alles verbieten.

Es ist dieser Pragmatismus hinter allen Tätigkeiten, der mich so beeindruckt. Auch, was die Nachfolgefrage betrifft. Sie haben zwar klare Vorstellungen zu einigen zentralen Punkten, aber anderen Dingen sehen Sie unbelastet entgegen?

Vielleicht verdränge ich auch das eine oder andere. Ich hatte das Privileg, den Landwirtschaftsbetrieb frühzeitig von meinem Vater übernehmen zu können.

Während meiner Ausbildung zum Landwirt hörte ich immer wieder Geschichten von Betriebsinhabern, die nicht loslassen konnten, wenn es um die Nachfolgefrage ging. Ich wurde mit 25 Jahren Pächter und mit 34 Jahren Eigentümer. Nun bin ich bereits 30 Jahre im Agrobusiness tätig. Im Nachhinein muss ich eingestehen, dass es reichlich früh war, mit 25 Jahren bereits die Aufgabe als Pächter zu übernehmen.

Die Landwirtschaft könnte ich heute bereits übergeben und noch das eine oder andere mithelfen, Freude daran haben und mich ab und zu noch etwas unbedarft einmischen.

Das Schloss selber jedoch möchte ich noch nicht übergeben. Mein Vater hat mir – er war damals 58 Jahre alt – den Landwirtschaftsbetrieb in Pacht übergeben; in meinem Fall wäre das bereits in drei Jahren der Fall. Neun Jahre später waren der Gutsbetrieb und das Schloss bereits mein Eigentum. Das war alles schon sehr früh. Er hat wohl gemerkt, dass damals der richtige Zeitpunkt für diese Ablösung gekommen ist. In vielen Firmen kann man beobachten, dass, wenn die Eltern die Übergabe nicht rechtzeitig angehen, die Kinder plötzlich das Interesse daran verlieren und später nicht mehr bereit sind, in die Fussstapfen der „Alten“ zu treten.

Mein Vater konnte in den letzten Jahren kaum mehr Schritt halten mit den anstehenden Veränderungen. Vor allem mit den grossen Umwälzungen in der Agrarpolitik.

So war ich beispielsweise gezwungen, den Alpwirtschaftsbetrieb im Diemtigtal von einer Pacht in ein Baurecht umzuwandeln. Der Betrieb gehört eigentlich nicht mehr zu unserem Kerngeschäft und müsste gemäss „Business-Prinzip“ verkauft werden. Ein Verkauf würde aber nicht viel Geld einbringen. Früher arbeiteten dort Angestellte und später Pächter. Es war für mich buchhalterisch immer ein Defizitgeschäft; den Einkünften standen fixe Kosten entgegen, die den Gebäudeunterhalt bei weitem nicht deckten. Der Pächter wurde vor einigen Jahren pensioniert und ging davon aus, dass es – nach der Übergabe an die Tochter und den Schwiegersohn – im gleichen Sinn weitergehen werde. Da musste ich intervenieren und erklären, dass für die Zukunft eine andere Lösung gesucht werden muss. Für anstehende Investitionen konnte ich keine Subventionen auslösen, da ich keine Selbstbewirtschaftung nachweisen konnte. Nun habe ich den Alpwirtschaftsbetrieb statt in Pacht im Baurecht abgegeben. Damit konnte ich den Bergbetrieb dem Schlossgut erhalten, ohne ein jährliches Verlustgeschäft einzufahren und zusätzlich der Familientradition respektive meinen Nachkommen gerecht werden.

Diese Lösung ist sicherlich auch für den heutigen Pächter von Vorteil.

Ja. Bedingt durch die neue Regelung hat der heutige Pächter viel mehr Eigeninitiative entwickelt. Er hat nun mit verschiedenen Umbauten begonnen und kann dadurch zusätzlich - im Gegensatz zu mir - Subventionen auslösen. Ich kann ihn heute besuchen und muss nicht mehr befürchten, dass er mir noch eine Rechnung für den Gebäudeunterhalt in die Hand drückt.

Um den landwirtschaftlichen Betrieb und das Schloss unter einen Hut zu bringen, ist es unerlässlich, gute und zukunftsgerichtete Lösungsansätze zu finden. Natürlich habe ich in den letzten 30 Jahren auch Fehler gemacht.

Als wir 1994 das Schloss übernehmen durften, war klar, dass wir es in einen gewissen Zustand überführen mussten, damit nicht eines Tages unsere Kinder von einer Übernahme absehen.

Schlussendlich ist es so: Arbeit gibt zu tun. Ich gehöre zu denjenigen, die gerne arbeiten. Wir haben ein faszinierendes Leben, es braucht jedoch auch die Bereitschaft, sich darauf einzulassen.

Die Aussage „ich arbeite gerne“ als Schlusssatz dieses Interviews wäre sicher sinnbildlich für alles.

Ja, das ist mein Leben.

Darum geht es mir. Gewissen Vorstellungen, was das Leben der von Wattenwyls angeht, etwas entgegenzustellen bzw. sie richtig zu stellen. Mithelfen zu können, gewisse Vorstellungen in richtige Relationen zu rücken.

Dafür kann ich nur danken. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir als Familie, was unsere Wohnsituation betrifft, durchaus privilegiert sind. Hier im Graben Oberdiessbach ist ein neues Quartier entstanden. Wenn ich sehe, auf welch engem Raum die Häuser gebaut werden: Abstände von 6-7m vom einen Einfamilienhaus zum andern, zudem auf unterschiedlichen Höhen. Dass das Land nicht weiter verschleudert werden kann und man enger zusammenrücken muss, leuchtet auch mir ein. Mir ist aber schleierhaft, wie man so viele unterschiedliche Arten von Häusern auf einem so engen Raum zusammenpferchen kann – ein richtiger Fruchtsalat. Raumplanerisch gesehen kann man auch sagen eine apokalyptische Katastrophe. Meinen Kindern gegenüber erwähne ich immer wieder unser Privileg, was die Platzverhältnisse angeht. Den Rückwärtsgang in meinem Auto muss ich nur in Bern beim Parkieren benützen.

Andererseits müssen sie nach jedem Regen eigenhändig den Kiesplatz harken.

Ja, das gehört halt dazu. Das sind die Freuden und Leiden eines Schlossbesitzers.

Für mich bedeutet Schloss Oberdiessbach mit der Familie von Wattenwyl immer ein bisschen der Antipol zu anderen Strömungen der heutigen Zeit. Wir haben uns über Herrn Michel unterhalten. Schloss Gümligen konnte dank ihm erhalten werden. Ohne dieses Engagement würde es heute vielleicht nicht mehr so dort stehen. Aber es handelt sich um ein rein privates Schloss – das Gegenteil von Schloss Oberdiessbach, das für die Öffentlichkeit zugänglich geblieben ist. Schloss Wittigkofen hat diesbezüglich auch eine andere Entwicklung durchgemacht.

 Schade, was dort passiert ist. Vor allem, dass vorgängig das Interieur verkauft wurde. Ich wurde auch angefragt bezüglich zweier Diesbach-Porträts. Was den Antiquitätenhandel betrifft, fühle ich mich hie und da auch als Auffangbecken des bernischen Patriziats. Diese Rolle will ich nicht übernehmen. In Bezug auf Porträts, die mir angeboten werden, erwarte ich zum Beispiel den Nachweis, dass es sich zumindest um ehemalige Bewohner von Schloss Oberdiessbach handelt. Unter diesen Umständen wäre ich bereit, diese zu erwerben. Natürlich kann ich mich auch für interessante Angebote erwärmen, andererseits ist es nicht meine Aufgabe, möglichst viele Antiquitäten zu erwerben, auch dann nicht, wenn es finanziell im Bereich meiner Möglichkeiten liegen würde. Ich investiere meine Mittel lieber in eine Restaurierungsarbeit am Schloss. Manchmal fühlt man sich in Sachen Antiquitäten auch etwas missbraucht.

Das wiederum hat mit dem Verständnis gewisser Leute von der Rolle eines Schlossherrn in der Gesellschaft zu tun.

Das ist so.

Ich spreche grundsätzlich nicht von „meinem“ Schloss, eigentlich muss man immer von „unserem“ Schloss sprechen. Es ist ein Familiengut und ich bin nur ein Ring in der Kette, eine Momentaufnahme, habe eben das Sagen nur auf Zeit. Die nächste Generation stösst ja bereits nach.

An dieser Stelle möchte ich meinen herzlichen Dank für die sehr gute Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege des Kantons Bern in den vergangenen 20 Jahren aussprechen. Etwa 80% der Eingriffe, die wir am Schloss vorgenommen haben, waren nötig, um wachsenden Schaden zu vermeiden. Die Brunnen wären verschwunden, die Gartenmauer wäre umgekippt. Es gibt noch einiges zu tun, aber das Dringendste resp. die Feuerwehrübungen haben wir in den letzten 20 Jahren erledigt.

Wenn kein wachsender Schaden besteht, spielt es keine Rolle, ob man etwas heute oder in fünf Jahren restauriert.

 Ja, da bin ich ganz Ihrer Meinung. Solche Bausubstanz gibt es auf Schloss Oberdiessbach noch einige. Im Alter wird man wohl auch etwas gelassener und man hat nicht den Anspruch, alles gleichzeitig zu erledigen. Heute steigt zum Teil an einigen Stellen wieder Feuchtigkeit auf – vor 10 oder 15 Jahren hätte ich mich darüber kräftig geärgert. Heute ist es anders und ich lerne damit umzugehen. Der Bauphysiker wollte letzthin sofort bauliche Gegenmassnahmen ergreifen. Ich bin der Meinung, dass es solche Opferzonen braucht, das ist einfach so, das akzeptiere ich heute im Gegensatz zu früher.

Sigmund von Wattenwyl

Textfassung:
Michael Gerber, Beat Käsermann, Doris Sommer